Stadtforschungen in Baalbek/Heliopolis

Blick nach Nordosten über die römische Therme zum Bacchustempel und dem Jupiterheiligtum. © DAI Orient-Abteilung // H. Wienholz

Forschung

Durch die kontinuierliche Besiedlung Baalbeks und da die antiken Bauwerke durch Umnutzung zu einem großen Teil vor Verfall und Steinraub geschütz waren, gerieten die römischen Ruinen niemals in Vergessenheit. Arabische Historiographen und Geographen beschrieben die römischen Bauwerke und Ruinen seit dem 9. Jh. n. Chr., europäische Reisende besuchten den Ort seit dem beginnenden 16. Jh. Kernpunkt des Interesses waren immer wieder die besondere Monumentalität und der Reichtum der Bauausstattung. Als erste wissenschaftliche Untersuchungen der römischen Heiligtümer gelten die Besuche der Engländer James Dawkins und Robert Wood im Jahre 1757 sowie im Jahr 1785 des Franzosen Louis François Cassas. Im 18. und vor allem im 19. Jh. wurde Baalbek im Umfeld der Grande Tour oft frequentierter Ort für reisende Maler, Photographen, Poeten und Wissenschaftler.

Der prominenteste Besucher war am 10./11. November 1898 der deutsche Kaiser Wilhelm II. Er gab den Anstoß für Ausgrabungen, die zwischen 1900 und 1904 von deutschen Wissenschaftlern durchgeführt wurden. Die Freilegung und Säuberung des Jupiterheiligtums, des sog. Bacchustempels sowie des Rundtempels und eine Dokumentation der historischen Bausubstanz in der Altstadt von Baalbek waren Aufgabe dieser ersten deutschen Ausgrabungen. Die Grabungspublikationen wurden mit großem Aufwand, wenngleich auch mit einer durch den ersten Weltkrieg verursachten Verzögerung ab 1920 in drei Bänden von Theodor Wiegand herausgegeben.

Nach dem ersten Weltkrieg bekam Frankreich vom Völkerbund das Mandat über Syrien und damit auch den Libanon. Die Antikenverwaltung der französischen Mandatsregierung übernahm in den 1920ern Ausgrabungen und Restaurierungen. In der Folgezeit beschäftigten sich französische Kollegen mit dem Erhalt des Tempel-Ensembles und intensivierten die Forschungen zu theologischen Problemen der heliopolitanischen Göttertrias Jupiter, Venus und Merkur. Dabei wurden auch die beiden Altäre unter der Christlichen Basilika im Altarhof wiederentdeckt und zum Teil wiederaufgebaut.

Nach der Unabhängigkeit des Libanon führte die libanesische Antikenverwaltung seit Ende der 1950er Jahre umfangreiche Grabungen in Baalbek durch. Die Gebiete „Bustan el Khan“ und „Bustan Nassif“ wurden erstmals großflächig untersucht und weitere römische und arabische Bauten ausgegraben. Im Bustan el-Khan fand man die Porticus der Therme, die durch ein Erdbeben umgestürzt war und nun in großen Teilen wieder aufgerichtet werden konnte. Zudem wurde ein langes Stück der römischen Ausfallstraße nach Süden aufgedeckt, entlang derer sich weitere antike Bauwerke befinden.

Neben weiteren Kolonnadenstraßen im Stadtgebiet wurde im Bereich des Rundtempels ein kleiner Tempel entdeckt.

Durch den Bürgerkrieg wurden die Arbeiten unterbrochen bzw, waren nur noch sehr sporadisch möglich, bis es in den 1990er Jahren zu einer Wiederaufnahme kam. Dafür wurde eine Kooperation zwischen der libaneischen Antikenverwaltung und dem DAI abgeschlossen, zu der ab 2001 auch die Brandenburgische technische Universität Cottbus hinzukam. Den Beginn der neuen Forschungen markiert die vom DAI konzipierte und eingerichtete Ausstellung über Baalbeks Geschichte unter Verwendung von Schautafeln und Fragmenten antiker Architektur, Skulpturen sowie Mosaiken in den Substruktionen des Jupiterheiligtums sowie eine Untersuchung zu einer spätantiken Nekropole im südlichen Vorort Douris, deren Ergebnisse im arabischen Festungsturm auf der Freitreppe des Bacchustempels zu sehen sind. Diese ersten Arbeiten starteten 1997, die Ausstellung wurde 1998 anläßlich des 100jährigen Jubliäums des Besuchs des deutschen Kaisers Wilhelm II. in Baalbek eröffnet.

Ab 2001 beschäftigte sich ein stetig größer werdendes Team aus Archäolog:innen, Bauforscher:innen, Stadtplaner:innen, Vermesser:innen, Geolog:innen und immer wieder herangezogenen Spezialist:innen für Einzelfragen mit den Aufarbeitungen der libanesischen Grabungen, mit der Untersuchung und Interpretation der einzelnen Großbauten sowie der Aufarbeitung der Depotbestände und Bearbeitung der bei Säuberungen und Untersuchungssondagen entdeckten Neufunde.

Neben regelmäßigen Publikationen in der libanesischen Fachliteratur, vor allem der Zeitschrift BAAL, entstanden mehrere Doktorarbeiten, Fachartikel zu Einzelfragen sowie ein großer Sammelband in der Reihe "Zaberns Bildbände zur Archäologie". Die neuesten Arbeiten in Baalbek beschäftigen sich darüber hinaus auch mit der Konsolidierung der antiken und mittelalterlichen Areale sowie mit den modernen Herausforderungen des Site Management.

Das Projekt „Stadtentwicklung von Baalbek“ verfolgt das Ziel, die Geschichte, die Entstehungsprozesse und die Veränderungen des Ortes nachzuvollziehen, zu rekonstruieren und aufzuzeichnen. Obwohl die Entwicklung einen Zeitraum von fast 9000 Jahren umfaßt, können dazu, je nach Erhaltungszustand und Fundlage, nur einige historische Abschnitte untersucht werden. Dazu zählen die Zeit des Siedlungsbeginns sowie die Übergange zwischen einzelnen Perioden, zum Beispiel die Veränderung der Siedlung im Übergang von der vorrömischen zur römischen Epoche sowie von der Spätantike zur islamisch-mittelalterlichen Zeit. Auch wenn das Jupiterheiligtum lange Zeit das die Stadt dominierende Bauwerk war, benötigte es doch topographische, städtebauliche, ökonomische und gesellschaftliche Grundlagen, deren Erforschung für die Genese von Heiligtum und Stadt sowie der Wechselwirkungen zwischen diesen beiden Bereichen unerläßlich ist.

Um solche Fragen umfassend und nach den Anforderungen moderner Forschung zu beantworten, bedarf es der Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen. In Baalbek arbeiten Vorderasiatische und Klassische Archäolog:innen, Bauhistoriker:innen, Geodät:innen, Geolog:innen und Geophysiker:innen zusammen, die Überlegungen werden im internationalen Rahmen diskutiert und durch Vorträge und Publikationen vorgestellt.

Der Schwerpunkt der Arbeiten liegt auf der Aufarbeitung der antiken Architekturen. Dabei handelt es sich sowohl um die immer stehen gebliebenen Hauptheiligtümer als auch um die erst im 20 Jh. freigelegten Strukturen. Eine detaillierte Bauaufnahme, ergänzt durch stratigraphische Beobachtungen und der Untersuchung von aus Säuberungsschnitten stammender Keramik wurde in Einzelprojekten am Jupiterheiligtum, am Areal Santa Barbara, an der Therme sowie am Podiensaal im Bustan al-Khan durchgeführt. Das Areal des Bustan Nassif wurde gesäubert, vermessen und aufgenommen sowie rekonstruiert, ein großer Teil der noch aus osmanischer Zeit stammenden Wohnhäuser wurde in einer detaillierten Dokumantation erfaßt. Die Zusammenführung der Ergebnisse der Einzelprojekte ermöglicht eine Interpretation zur Einbindung in den städtebaulichen Zusammenhang. Eine übergreifende Analyse der Bauornamentik der römischen Großbauten führte zu einer ersten relativen Chronologie, die sowohl durch die erneute Auswertung des epigraphischen und numismatischen Materials sowie durch punktuelle keramische Datierungen absolute Fixpunkte bekam.

Da das in den seit 100 Jahren stattfindenen Grabungen geborgene Fundmaterial zwar magaziniert, aber zumeist nur unzureichend dokumenteiert war, befaßten sich weitere Projekte mit der Sichtung und Systematisierung der Depotbestände, wobei vor allem viele Skulpturenfragmente, aber auch Hinweise auf mittlerweile komplett verlorene Bauwerke wiedergefunden werden konnten. Auch Kleinfunde und Glasfragmente konnten durch die Depoptbestände genaueren Untersuchungen unterzogen werden.

Schließlich wurden in Deutschland wissenschaftshistorische Forschungen und Aufarbeitung von Archivmaterial initiiert.

Mit Hilfe naturwissenschaftlicher Untersuchungen werden die Arbeiten der Archäolog:innen und Bauforscher:innen ergänzt. So werden nicht nur die Tierknochenfunde ausgewertet, sondern auch die Hölzer historischer Häuser untersucht oder Keramik- und Glasfunde chemisch analysiert. Geophysikalische Untersuchungen erlauben es, die Veränderung der Landschaft durch den Menschen nachzuvollziehen, mittels photogrammetrischer Auswerteverfahren können historische Stadtviertel rekonstruiert werden und durch Analysen an den antiken Kanälen sowie Gewässeruntersuchungen kann auf die Wasserzufuhr in der Antike zurückgeschlossen werden. Durch verschiedenste interdisziplinäre Forschungsansätze sollen Fragen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung der Stadt geklärt werden.

Wesentlich für die Rekonstruktion der Stadt ist die geometrische Auswertung von vielfältigen historischen Plan- und Bildmaterialien. Für die verschiedenen Aufgaben von Geländemodellierung bis Bauteilaufnahme kommen Verfahren wie Photogrammetrie und Luftbildentzerrung zum Einsatz, darüber hinaus werden neue Werkzeuge zur stereophotogrammetrischen Auswertung erprobt und weiterentwickelt.

Geophysikalische Untersuchungsmethoden werden eingesetzt, um auch in denjenigen Bereichen Erkenntnisse über im Boden verborgene archäologische Strukturen zu erhalten, in denen Ausgrabungen nur schwer möglich sind. Im Frühjahr 2008 wurden im Bereich des Jupiter-Heiligtums, des sog. Venus-Areals und im Bustan el-Khan geoelektrische Bodenwiderstandsmessungen durchgeführt, die wesentliche Informationen über die geologische Ausgangssituation in den Arealen und unter den monumentalen Bauwerken lieferten. Im den Jahren 2009 und 2010 wurden zusätzlich mit Georadar ausgewählte Flächen untersucht, die nicht mehr zugänglich sind, unter denen aber antike Baubefunde vorhanden waren.

Südseite des Jupitertempels von Baalbek mit Geisonfragment im Vordergrund. © DAI Orient-Abteilung // H. Wienholz
Grundriß der Tempel von Baalbek. © DAI Orient-Abteilung // D. Lohmann
Ansicht des Straßenbildes von Baalbek. Restaurierte historische Bauten. © DAI Orient-Abteilung // H. Wienholz
Bacchustempel von Nordwest, Baalbek. © DAI Orient-Abteilung // H. Wienholz
Freitreppe zum Merkurtempel auf dem Stadtberg Sheik Abd'allah. © DAI Orient-Abteilung // I. Wagner