Funeräre Landschaften, Kontakte und Mobilität in der Bronzezeit Nordwest-Arabiens

Tayma (Saudi-Arabien): Funeräre Landschaft von Rujum Sa'sa' (von Nordwesten) © DAI Orient-Abteilung // A. Intilia

Forschung

Das Projekt adressiert folgende Forschungsfragen:

- Wie manifestieren sich die Bestattungssitten von Tayma im materiellen Befund der Bronzezeit (3. – 2. Jt. v. Chr.)?

- Sind lokale / regionale sowie überregionale kulturelle Marker erkennbar und welche Bedeutung haben diese?

- Erlaubt der Befund Rückschlüsse auf soziale oder kulturelle Differenzen innerhalb der dort bestatteten Bevölkerungsanteile (Bauweise, Verteilung der Grabbauten, Belegung, Beigaben) und sind diese Unterschiede mit der topografischen Situation zu kontextualisieren?

- Inwieweit sind die festgestellten Veränderungen im Grabbefund mit den Beobachtungen im Siedlungsbefund zu verknüpfen?

- Wie dynamisch war die Nutzung der dauerhaft errichteten Grabbauten vor dem Hintergrund mehrerer Ablagerungen von Skelettresten (50 MNI) in der Nähe von kreisförmigen Gräbern bzw. Komplexen aus kreisförmigen Gräbern und rechteckigen Anbauten?

- Welche Lebensweise (Ernährung, Krankheitsbilder, Arbeitsbelastung, Sterbealter) lässt sich für die in den Gräbern bestatteten Individuen rekonstruieren und welche Folgerungen ergeben sich daraus für die Rekonstruktion der bronzezeitlichen Bevölkerungsanteile, die durch diese Bestattungen repräsentiert sind?

Nach der Beobachtung von „tumuli“ durch Forschungsreisende (A. Jaussen, R. Savignac), führte die saudi-arabische Antikendirektion punktuelle Untersuchungen in den Friedhöfen von Tayma vor allem im Kontext der expandierenden modernen Siedlung durch. Ab den 1980er Jahren waren dies der Industrial Site (Sana’iye) sowie im Jahr 2004 südlich davon Tal’a (unter Beteiligung des DAI-Projekts Tayma). Die Anlagen wurden in das ausgehende 2. bis ins mittlere 1. Jt. v. Chr. datiert.

Das Gebiet südlich der ummauerten Oase (Rujum Sa‘sa‘) rückte danach in den Mittelpunkt des Interesses. Hier fanden ab 2011 und verstärkt ab 2014 Notgrabungen im Neubaugebiet von al-Nasim statt, letztere erneut unter Beteiligung des DAI-Forschungsprojekts in der Oase. Ein Survey des Jahres 2016 diente der Vorbereitung der jetzt aufgenommenen systematischen Forschungen in Rujum Sa‘sa‘, nahm aber auch die anderen, weniger bekannten Bestattungsgebiete von Tayma in den Blick. Bis 2018 wurden Rettungsgrabungen der saudi-arabischen Antikendirektion in Rujum Sa‘sa‘ fortgesetzt. Keramikfunde, Artefakte und 14C-Datierungen wiesen hier auf einen Nutzungszeitraum überwiegend vom 3. Jt. bis zum ausgehenden 2. Jt. v. Chr.

Bisher kam der architektonischen Klassifizierung der Grabbauten eine große Bedeutung zu. Es wurden folgende Haupttypen identifiziert, deren Befunde bislang folgende Belegungszeiträume vermuten lassen:

- Große rechteckige Mehrkammergebäude (vermutlich ab dem 3. Jt. v. Chr.)

- Große kreisförmige Grabbauten mit gestuftem Querschnitt (vermutlich ab dem 3. Jt. v. Chr.)

- Kreisförmige Grabbauten mit kreuzförmiger Kammer (ausgehendes 3. Jt. – Mitte / Ende 2. Jt. v. Chr.)

- Kreisförmige Grabbauten mit angesetzten Räumen und aufrecht stehenden Steinen (möglicherweise ausgehendes 3. Jt. – 2. Jt. v. Chr.)

- An kreisförmige Grabbauten angesetzte oder aneinandergesetzte rechteckige Anbauten unterschiedlicher Größe (frühes – mittleres 1. Jt. v. Chr.).

Der insgesamt unausgewogene Forschungsstand führte dazu, dass die wenigen untersuchten Gräber von Tayma unter Verweis auf die Befunde im Osten der Arabischen Halbinsel gedeutet und nicht als Ausdruck einer autochthonen Kultur betrachtet wurden, obwohl die schon seit den 1980er-Jahren freigelegten Anlagen Elemente lokaler Prägung aufwiesen.

Im Kontext der Ergebnisse der Siedlungsgrabungen in der Oase von Tayma in der Bronzezeit und angesichts der bislang punktuellen Erforschung von Grabkontexten richtet sich das Projekt an die systematische Untersuchung jener Friedhofsgebiete, die vor allem während der späten Frühen sowie Mittleren Bronzezeit (ab ca. 3000 bis zur Mitte des 2. Jt. v. Chr.) belegt wurden. Der interdisziplinäre Ansatz verwendet Methoden der Archäologie und der Bioarchäologie.

Dabei stehen folgende Forschungsziele im Vordergrund:

- Räumliche und zeitliche Analyse der Grablandschaften südlich von Tayma: Abfolge und Verbreitung von Grabbauten im topografischen Kontext

- Untersuchung der Bedeutung von Zonen unterschiedlicher Konzentration von Grabbauten

- Identifizierung von sozialen Dynamiken, Kontakten und Austausch im Befund (lokale Phänomene – globale Netzwerke)

- Rekonstruktion von Handlungen am und im Grab im Zusammenhang mit der Bestattung und Differenzierung von Aktionsräumen

- Belegungsgeschichte und –intensität der Grabanlagen; Primär- und Sekundärbestattungen; Grabausstattung

- Ermittlung von Lebensformen und Subsistenzstrategien der bestatteten Bevölkerungsanteile

- Dynamiken biologischer und sozialer Anpassungsprozesse

Ein etwa 6 km2 großes Gebiet bildet den Fokus des Projekts. Es wird als Teil einer funerären Landschaft aufgefasst. Diese ist ein Raum sozialer und kultureller Interaktion zwischen den Lebenden, die sichtbare Grabbauten in einem spezifischen topografischen und umweltlichen Kontext errichteten, und ihren darin bestatteten Vorfahren. Die intentionell sichtbar gemachten Grablandschaften sind Orte eines sozialen Gedächtnisses, die Erinnerung produzieren.

Neben den wissenschaftlichen Forschungszielen zielt das Projekt auf die Erarbeitung einer Erforschungsstrategie der Gräber von Tayma ab. Diese schließt folgende Faktoren mit ein:

- Quellenkritik, Grabmanipulationen und Erhaltungszustand

- Revision des bestehenden Kriterienkatalogs zur Deutung von Oberflächenbefunden der Grabbauten

- Systematische und vollständige Erfassung der Grabanlagen und ihrer Ablagerungsgeschichte (Stratigrafie)

Bei der interdisziplinären stratigrafischen Ausgrabung der Gräber kommen folgende Methoden zur Anwendung:

- Stratigrafische Ausgrabung und Dokumentation der Grabbauten und der Befunde

- Fotogrammetrische Dokumentation der Befunde (Structure from Motion)

- Untersuchungen zu Bautechnik und Material

- 3D-Visualisierung (Modelle) und Integration in einen georeferenzierten Gesamtplan

- Klassifizierung von Befunden und Funden thematische Kartierungen von Gräbern / unterschiedlicher Bereiche der Grablandschaften

- Datenbankgestützte Aufnahme von Kontexten und Objekten; Zeichnung und Fotografie

- 14C-Datierungen

- Achäometrische Analysen

- Datenerhebung zum biologischen Profil

- Biometrie

- Biogeochemische Analysen

- aDNA-Analysen

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Tayma (Saudi-Arabien): Ausgrabungsgebiet von Rujum Sa'sa' (Frühjahr 2020) © DAI Orient-Abteilung // J. Hubert
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Tayma (Saudi-Arabien): Grab RS-g110 vor der Ausgrabung © DAI Orient-Abteilung // N. Horn-Wittkuhn
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Tayma (Saudi-Arabien): Grab RS-g113 während der Ausgrabung © DAI Orient-Abteilung // A. Zur
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Tayma (Saudi-Arabien): Grab RS-g112 nach Ende der Ausgrabung (Orthofoto) © DAI Orient-Abteilung // J. Hubert
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Tayma (Saudi-Arabien): Grab RS-g111 / RS-g114 © DAI Orient-Abteilung // A. Zur