Tappe Rivi, Nord-Khorasan/Iran: Eine Siedlung erzählt Geschichte

Hügel Rivi A (im März 2022) © DAI-Teheran // Judith Thomalsky

Forschung

Forschungen und erste Ergebnisse

Im Fokus des Projektes liegt das Tal des Samalghan-Flusses (oder arab. Selmelghan), das in der 20 Jahre jungen iranischen Provinz Nord-Khorassan und seiner Hauptstadt Bojnurd liegt. In strategischer und agrarwirtschaftlicher Hinsicht günstig, doch ebenso von den modernen Routen abgelegen, wurde die Region allerdings nur unregelmäßig von Forschern besucht. Einige Fundplätze wurden offiziell in den Jahren um 1968 registriert, darunter wurde auch das antike Siedlungsgebiet Tappe Rivi (persisch „Hügel des Wiesels“) von Ezrat Negahban erstmals als prähistorischer Platz charakterisiert.

Die sich nördlich anschließende breite Atrak-Ebene (Grenzregion zwischen dem Iran und Turkmenistan und im Westen in das Kaspische Meer mündend) lag in den 1970-80er Jahren im Fokus der Archäologen. Hier wurde eine größere Zahl an historischen Plätzen am Oberen und Mittleren Atrak zwischen Kushan, Faruj und Shirvan, sowie in der Region von Darreh Gāz dokumentiert. Nach Osten sind das historische Nishapour, Residenzstadt der Sassaniden mit den wichtigsten Türkisminen des Landes und Mashad, Hauptstadt der Provinz Razavi-Khorasan erreichbar. Die historische Nutzung dieser Türkisvorkommen ist bislang ebenfalls kaum belegt. Erst die westlich benachbarte Provinz Golestan ist vergleichsweise archäologisch gut bekannt; die Aktivitäten fanden mehrheitlich vor der iranischen Revolution statt. Ausgrabungen in Orten wie Tappeh Hissar (Provinz Semnan), Tureng Tepe und Shah Tepe (Provinz Golestan) erbrachten Fundschichten vom 5. Jt. v. Chr. bis in das 3 Jt, v. Chr., auf die nach einer Unterbrechung dann auch eisenzeitliche Besiedlung folgt; aber eine über einen längeren Zeitraum kontinuierliche Siedlungssequenz ist an keinem dieser Orte erfasst worden.

Erste Untersuchungen von Javad Jafari in den Jahren 2011 und 2012 erbrachten eine erste Charakterisierung des antiken Siedlungsareals und die stratigraphische Untergliederung von drei Siedlungshügeln, Rivi A (eisenzeitliche Abfolge), Rivi B (parthisch-sassanidische Periode) und Rivi C (parthische Zeit). Oberflächenbegehungen liessen ausserdem eine horizontalstratigraphische Entwicklung des Platzes darstellen: Während sich Fundmaterial der jüngeren Epochen im nordöstlichen Areal um Tappe Rivi B zu konzentrieren scheint, streut Eisenzeit 2-3 zeitliches Material (in Form der „grauen Ware“) weit im gesamten Siedlungsbereich. Radiokarbonanalysen von Probenmaterial aus den stratigraphischen Befunden von Rivi A und Rivi B unterstützen diese zeitliche Einordnung: Die Daten aus Rivi A fallen in den Zeitraum zwischen 800-500 BC, die Daten aus Rivi B hingegen sind deutlich jünger (250-330 AD).

Im Juni 2016 wurden erstmals gemeinsame iranisch-deutsche Forschungen in Tappe Rivi unter der Leitung von Jafad Jafari (ICHHTO Bojnurd) und Judith Thomalsky (DAI Teheran) unternommen. Die bisherigen Untersuchungen ordnen das über 110 ha große Areal mit mindestens vier Siedlungshügeln (Rivi A, B, C und D) in folgende lokale Sequenz ein:

Erste Aktivitäten in Rivi beginnen mit dem Gräberfeld (M3) nahe Hügel Rivi B, das in die Mitte des 2. Jt. v. Chr. datiert. Die Besiedlung des Areals, zuerst auf den höheren Erhebungen (LM-18; P10, L5), um sich möglicherweise vor den Überschwemmungen zu schützen, findet dann ab 1000 v. Chr. statt. Größere Lehmbauten, wie die mutmaßliche Befestigung in Rivi A werden kurze Zeit später gegründet, und auch das Monumentalgebäude Rivi D mit gegliederter Fassade und Türmen entstand im Rahmen einer sich lokal herausbildenden Autorität, die den Standort Rivi als zentralen Ort etablierte.

Auf dieser mutmaßlichen Organisationsstruktur aufbauend wurde Rivi dann vermutlich auch in das Achämenidenreich eingebunden, ebenfalls mit einer gewissen Bedeutung als Markt- und Handelsplatz. Neben der Weiternutzung von Rivi D, wird ein kleinerer Lehmbau mit Portikus (F16) errichtet. In der direkten Nachbarschaft wurden mittels geophysikalischer Messungen weitere Gebäude entdeckt, die evt. zeitgleich zu F16 entstanden, wie vergleichbare Orientierungen und Raumaufteilung mutmaßen lässt. Mit den Grabungsschnitten nahe der sassanidischen Ruine „Rivi B“ wurden auch im nördlichen Siedlungsareal eisenzeitliche bzw. achämenidenzeitliche Aktivitäten (M3) erfasst – und zwar in Form von einer ganzen Serie von Keramikbrennöfen (Teile davon sind bislang nur geomagnetisch erfasst) und zugehörigen Asche- und Abfallgruben. Die hieraus stammenden Keramiken datieren in das Ende der achämenidischen Epoche und in die nachfolgende hellenistische-parthische Zeit. Dies ist bemerkenswert, da die Keramiken aus den anderen achämenidischen Fundkontexten der lokalen Techniktradition angehören, während sich diese Manufaktur offensichtlich auf die Herstellung der neu in Mode gekommenen feinen Waren spezialisiert hat.

Der eher flache Hügel „Rivi C“, ein weiterer größerer Architekturkomplex zentral im Siedlungsareal gelegen, zeigt eine Abfolge von Lehmziegelbauten aus der Eisenzeit bis in die sassanidische Epoche. In einiger Entfernung liegen die Grabungsschnitte L5 und L6, in denen sassanidische Wohnbebauung freigelegt wurde. Es kann daher ein „nördliches Siedlungsareal“ rekonstruiert werden, das nach Osten hin bis zur Burg Rivi B reicht.  

Schließlich wurden in einigen Schnitten islamische Gräber angetroffen, sowie Reste einer quadratischen Festung bzw. Turm (Schnitt Q11) und Wohnbebauung (Grabungsbereich S12). Der Oberflächenstreuung glasierter Keramikscherben nach zu urteilen, ist von einer eher begrenzten, lockeren Ansiedlung im östlichen Siedlungsareal auszugehen, in der sich auch ein – den alten Luftbildern nach zu urteilen - mutmaßlicher Friedhof befindet.

Eine regionale Siedlungsgeschichte für Nord-Khorasan

Das Projekt zielt auf eine umfängliche Darstellung der Landschaftsentwicklung und Besiedlungsgeschichte von der Spätbronzezeit bis zur sassanidischen Periode des Samalghan-Tals und angrenzenden Tälern. Der Schlüsselort Rivi bietet dabei erstmals die Erforschung eines über einen langen Zeitraum generierten Siedlungsplatzes, sämtliche historischen Epochen der Iranischen Archäologie abdeckend. Dass hierbei der Fokus auf einen „normalen“ Siedlungsplatz gelegt wird (und nicht auf eine Residenzstätte), macht das Projekt nochmals einzigartig. Als primärer Ansatz und wissenschaftliche Bedeutsamkeit des Projektes gleichermaßen herauszustellen ist, dass methodische Grundlagen wie Stratigraphie, Chronologie und Umweltgeschichte der Region gravierende Desiderata sind, sowohl aus archäologischer als auch aus geographischer Perspektive. Daher liegt der methodische Schwerpunkt auf die historische Landschaftsentwicklung der Untersuchungsregion Samalghantal. Hier sollen entsprechende grundsätzliche Daten zur Rekonstruktion der (prä-) historischen Landschaft, Besiedlungsgeschichte und Nutzung gewonnen werden. Das abgeriegelte Tal scheint beispielsweise ideal für sassanidische Bewässerungstechnik geeignet zu sein. So scheint auch die Topographie von Rivi offensichtlich nicht gänzlich Siedlungsakkumulationen geschuldet zu sein: Inwiefern sich die seichten Erhebungen sich als natürliche, von Wasser umflossene Hügel rekonstruieren lassen, ist ein erstes Arbeitsziel. Dies ist besonders interessant, da eine solche Landschaft als ein wesentlicher Faktor für die Siedlungsplatzwahl definierbar sein dürfte. Weiterer Ansatz ist die Modellierung der potenziellen Verbindungswege bzw. Wegsamkeit der Täler und Höhenzüge in die Peripherie des Samalghan-Tals und darüber hinaus in der Region Nord-Khorassan, die in der antiken Landschaft als Handelswege und Bewegungspfade genutzt wurden.

Der Fundplatz Rivi als key-site bietet für alle diese Fragestellungen jeweils den Anfangspunkt für 1) die Erarbeitung einer regionalen Chronologiesequenz von der Mitteleisenzeit bis in die sassanidische Epoche; 2) für die Erschließung des antiken Siedlungsgebietes über das Samalghantal hinaus in die anschließenden Täler und 3) die überregionalen kulturhistorischen Beziehungen entlang der historisch etablierten Wegestrecken (Great Khorasan Road/Seidenstrasse und über das Iranische Hochplateau) in Iran.
 

Modellzeichnung von Gebäude F16 © DAI Teheran // Ala Talebian
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Untersuchungsgebiet Samanghan-Tal und archäologische Fundplätze: Rivi (roter Stern), sowie 2 weitere Plätze (grün), die in den Übergang Spätbronzezeit/Früheisenzeit datieren. © DAI Teheran // anonym
Schematische Rekonstruktion der ursprünglichen Fläche des Monumentalbaues Rivi D © DAI Teheran // Judith Thomalsky
Pfeilförmiges Fenster in der Nordfassade von Monumentalbau Rivi D © DAI Teheran // Ebrahim Farsi
tönerner Türverschluss mit Stempeln © DAI Teheran // Javad Jafari
Tonverschluss mit Stempelsiegel, bei der Funddokumentation © DAI Teheran // Javad Jafari