Forschung
Die Arbeit wird von der Grundfrage geleitet, was eigentlich in vormodernen Wirtschaften unter einer Wirtschaftskrise zu verstehen ist, ob man überhaupt davon sprechen kann und welche Phänomene unter diesem Begriff forschungsgeschichtlich subsumiert wurden. Speziell für die Beispielregionen wird danach gefragt, wie stark sie mit anderen Regionen des römischen Reiches wirtschaftlich integriert waren, ob das Modell einzelner sektorialer und regionaler Krisen zutreffend ist, sowie welche archäologischen Indikatoren für die jeweiligen Hypothesen herangezogen wurden. Von herausragender Bedeutung ist schließlich die Frage danach, welche Faktoren zu Veränderungen in der wirtschaftlichen Entwicklung geführt haben könnten und ob es sich primär um exogene oder endogenen Faktoren handelte, womit die gesellschaftliche Stellung der Wirtschaft angesprochen werden soll.
Das zentrale Forschungsziel des Dissertationsprojektes ist es - neben der deskriptiven Modellierung der wirtschaftlichen Wechsellagen einzelner Regionen der italischen Halbinsel und der Benennung der dabei wirksamen Faktoren - einen Überblick über krisenhafte Phasen, ihre Dauer, Auswirkungen und Reichweite zu entwickeln. Daneben sollen diese Beobachtungen mit den Entwicklungen anderer Provinzen in Bezug gesetzt und verglichen werden, um allgemeine Tendenzen der Binnenstruktur der römischen Wirtschaft in der Kaiserzeit zu identifizieren.
Die Forschungsgeschichte zu wirtschaftlichen Krisen und allgemein negativen ökonomischen Entwicklungen ist sehr reich und blickt auf eine lange Tradition zurück, meist wurde die Frage jedoch im Kontext der Suche nach den Gründen für das letztendliche Scheitern und den Untergang des römischen Reiches gesehen. Der Begriff der Krise fungierte hier also als Substitut für das eigentlich gemeinte, den Niedergang. Michail Rostovtzeff war der erste, der die Hypothese formulierte, dass bereits in der hohen Kaiserzeit die Wirtschaft der italischen Halbinsel in eine allgemeine Krise gelangte und es zu einer zeitlich fortschreitenden und langfristig irreversiblen sozio-ökonomischen Desintegration kam. Andrea Carandini reformulierte die weitgehend aus der schriftlichen Überlieferung schöpfende Hypothese Rostovtzeffs in den 1970er und 1980er Jahren unter Zuhilfenahme archäologischer Quellen und eines marxistischen Ansatzes. Diese Idee einer allgemeinen Wirtschaftskrise Italiens ab dem 2. Jh. n. Chr. wurde in den letzten Jahrzehnten von verschiedener Seite angegriffen und mit dem Befund regional sehr unterschiedlich verlaufenden Entwicklungen konfrontiert. Dabei konnte jedoch weder eine überzeugende Erklärung für die Entwicklung einzelner Regionen gegeben, noch diese zueinander in Beziehung gesetzt werden.
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