Forschung
Die Agora eignet sich für die Untersuchung der punischen Phase in Relation zur griechischen in besonderem Maße, da bei den langjährigen Grabungen von Dieter Mertens sowohl griechische als auch punische Bauten und Funde zu Tage getreten sind. Einer der bedeutenden Funde war die Aufdeckung eines als „Heroon“ angesprochenen Grabes auf der Agora im Jahr 2003. Bei früheren Feldforschungen (1978) von Antonia Rallo wurde eine Gruppe hocharchaischer Gräber entdeckt, die sich nicht nur durch die Lage auf der Agora der Planstadt, sondern auch durch die gehobene Ausstattung der Gräber auszeichnet.
Das Forschungsdesiderat besteht besonders hinsichtlich der inhaltlich funktionalen Einbindung der bereits bekannten oder angegrabenen Elemente und schließlich der Ausdeutung dieses sepulkral-sakralen Areals der Agora.
Literatur:
D. Mertens, L’<<Heroon>> sull’agora di Selinunte. Nota preliminare, in: G. Bartoloni, G. Benedettini (Hg.), Sepolti tra i vivi. Buried among the Living, Evidenza ed interpretazione di contesti funerari in abitato, Scienze dell’antichità. Storia archeologia antropologia 14/1, 2007/2008, 473-488.
D. Mertens, Die Agora von Selinunt. Der Platz und die Hallen. Beiträge von A. Thomsen, M. Jonasch, L. Adorno, R. Attula, A. Bischoff, J.-M. Müller, M.L. Lazzarini, RM 118, 2012, 51-178.
A. Rallo, Selinunte: le ceramiche di VII secolo a.C. della necropoli meridionale di Manuzza dopo gli scavi 1978, in ASAtene 60, 1982 [1984], 203-218.
A. Rallo, L’abitato di Selinunte. Il quartiere punico e la sua necropoli, Kokalos 28, 169-174.
A. Rallo, Considérations sur les fouilles récentes de Sélinonte, Revue archéologique 1, 194-198.
A. Rallo, Considerazioni su un gruppo di tombe protoarcaiche in Selinunte, in: G. Bartoloni, G. Benedettini (Hg.), Sepolti tra i vivi. Buried among the Living, Evidenza ed interpretazione di contesti funerari in abitato, Scienze dell’antichità. Storia archeologia antropologia 14/1, 2007/2008, 489-496.
Im Rahmen einer von der Gerda Henkel Stiftung für zwei Jahre geförderten Pilotstudie widmet sich die Projektbearbeiterin Dr. Sophie Helas der bislang nur ansatzweise erforschten archaischen Gräberstätte auf der Agora und ihrer Transformation in ein punisches Heiligtum seit dem vierten Jahrhundert v. Chr.
Ziel ist es, neue Erkenntnisse zur Lage und Bedeutung dieser außergewöhnlichen Stätte zu erlangen und darüber hinaus danach zu fragen, warum sich in Selinunt zwei so unterschiedliche Erinnerungsorte sepulkraler Natur begegnen: zum einen ein aufwändig gearbeiteter hocharchaischer Sarkophag für eine Körperbestattung, zum anderen kostspielige Brandbestattungen in bronzenen Perlrandbecken, die in steinerne Basen eingepasst waren, welche sowohl in archaischer als auch in punischer Zeit respektiert wurden.
Von einer besseren Kenntnis des sepulkral-sakralen Raums auf der griechischen Agora erwarten wir einen Wissenszuwachs, der zum Verständnis des Fortlebens des Areals in punischer Zeit beitragen wird. Offenbar wurde die hocharchaische Gräberstätte im 4. Jahrhundert v. Chr. in das sakrale Konzept eines ausgedehnteren punischen Heiligtums einbezogen. Welcher Art aber die inhaltlichen Bezüge in punischer Zeit waren, lässt sich nur befriedigend beantworten, wenn wir eine genauere Kenntnis der Gestalt, der Ausdehnung und der Nutzung des sakralen Raumes der archaischen Zeit haben.
Nach einer Überprüfung der alten Grabungskontexte auf Grundlage der seinerzeit erstellten Dokumentationen soll der gesamte Komplex in zwei Grabungskampagnen (2017 und 2018) freigelegt werden.
Das Areal im Nordosten ist nur in Teilbereichen freigelegt, weshalb weitere Hinweise - wenn auch nur in Form von Felsbettungen -, auf bauliche Installationen, etwa Altäre, Umfriedungen oder sogar Sakralgebäude, zu erwarten sind. Darüber hinaus erhoffen wir uns Hinweise auf die konkrete Nutzung des Areals in Form von Votivgruben, Aschekonzentrationen und Niederlegungen. Eine kontextbasierte Ausgrabung, wie wir sie anstreben, erlaubt im Idealfall die Rekonstruktion vergangener Handlungen und Vorgänge.
Grabungsteam:
Dr. Sophie Helas, M.A. Grabungsleitung
Eva Maria Träder, M.A. Schnittleitung
Petra Fleischer, M.A. Schnittleitung
Dott.ssa Linda Adorno, Leitung der Fundbearbeitung
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