Măgura Gorgana bei Pietrele an der Unteren Donau

Blick auf den Siedlungshügel 2018 © DAI Eurasien-Abteilung // Svend Hansen

Ergebnisse

Wenn Marshal Sahlins recht hat und die häusliche Produktionsweise ein intrinsisches Antisurplussystem ist, dann basiert die tributäre Produktionsweise klar auf einer extrinsisch motivierten Überschussproduktion. Der Überschuss wurde durch Anordnung organisiert und sicher zu einem nicht geringen Teil unter physischem Zwang erwirtschaftet. In einem engen Grab eingelocht und gequetscht fanden sich in Pietrele vier Tote, die sich nach Auskunft der Anthropologen in einem erbärmlichen, durch harte Arbeit geprägten körperlichen Zustand befanden. Hier sehen wir einmal nicht die Spitze, sondern das untere Ende der Gesellschaft, vielleicht Sklaven.

Ein System kann jedoch auf Dauer nicht nur auf Gewalt beruhen. Es bedarf vielmehr Mechanismen der sozialen Kohäsion, von Momenten, in denen der Zusammenhalt beschworen und die Menschen für das System mobilisiert werden. Dies ist die klassische Aufgabe von Festen. Hinweise auf Feste finden sich in Pietrele etwa in Form von sehr großen Haufen von Speiseabfällen. In Fläche L wurde eine große Ansammlung von Flussmuschelschalen freigelegt, in der immerhin mehr als 2500 Muscheln gezählt wurden (Gezählt wurden die Schlösser der Muscheln (Befunde P10L241 und P10L254). Legt man das Dutzend, eine heute gängige Größe für Portionen von Schalentieren zugrunde, konnten gut 200 Menschen an diesem Mahl teilhaben.

Einen weiteren Hinweis für Festmahle in Pietrele bietet ein teilweise erhaltener exzeptioneller Geschirrbefund. Die beiden 14C-Daten von Getreidekörnern aus diesem Befund datieren im 1σ-Bereich 4325–4252 cal BC bzw. 4323–4244 cal BC (MAMS-3145o: 54o4 ± 26; MAMS-31451: 5399 ± 26). Damit gehört der Geschirrbefund in die Endphase der Besiedlung in Pietrele

In der aufwendig verzierten Schale lagen 19 kleine Becher bzw. kleine Schalen. Auch eine mittelgroße Schale mit einem durch Linien gebildeten Wellenmotiv ist hervorzuheben. Zu diesem Ess- bzw. Trinkgeschirr gehören des Weiteren mehrere mittelgroße Amphoren mit Barbotineverzierung, Terrinen mit plastischem Dekor und kumpfartige Gefäße mit Deckel. Der Befund ist leider in keiner Weise vollständig, denn die Schale mit den Bechern steckte im Profilrand. Umso bemerkenswerter sind zwei weitere, sehr seltene Gefäßformen, die wohl noch nie in einem Befund zusammen entdeckt wurden. Es handelt sich zunächst um eine 25 cm hohe Figur aus Ton, die neben der großen Schale lag. Dazu gehört des Weiteren ein verbranntes anthropomorphes Tongefäß mit Graphitverzierung und erhobenen Armen. Die zeichnerische Rekonstruktion zeigt, wie die riesigen Augen den Betrachter in seinen Bann ziehen. Zweifellos ist das Gefäßensemble aufgrund der hohen Qualität der Gefäße sowie der Seltenheit der beiden anthropomorphen Gefäße als ein besonderes Fest- oder sogar Kultgeschirr zu bezeichnen.

Feste werden zuweilen als eine Art menschliche Universalie aufgefasst. Ihre Bedeutung liegt in der Stärkung des Gemeinschaftsgefühls. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer versichern sich ihrer Zusammengehörigkeit beim gemeinsamen Mahl. Es ist nicht zufällig, dass Kommensalität, das gemeinsame Essen, bis heute einen stark rituellen Charakter hat. Die Teilnahme an ihm ist nur den jeweiligen Mitgliedern der Gemeinschaft gestattet.

Feste spielen auch eine Rolle wenn es gilt, kollektive Arbeitsleistungen zu mobilisieren. Mit Arbeitsfesten konnten in agrarischen Gesellschaften Hunderte von Arbeitskräften mobilisiert werden. Die Aussicht auf ein Mahl, vielleicht auch ein alkoholisches Getränk war eine starke Motivation in Gesellschaften, in denen die Nahrungsversorgung tendenziell prekär war. Bekanntlich wird seit langem diskutiert, ob nicht das Brauen von Bier sogar der Anstoß für die Kultivierung von Getreide war. Daneben spielen aber Aspekte wie die Zugehörigkeit zur Gruppe, die Möglichkeit zur sozialen Teilhabe für die Motivation zur Teilnahme an solchen Festen eine wichtige Rolle.

Das Fest war in komplexen Gesellschaften, die durch ein redistributives ökonomisches Modell bestimmt wurden, ein wichtiges Mittel für die Aufrechterhaltung des Systems. Der Erfolg von Häuptlingen hing einerseits von ihrem Charisma ab. Auf der anderen Seite musste es ihnen gelingen, ihre Position zu institutionalisieren und auf eine legitimierte Basis zu stellen. Dabei spielten große Feste oder solche im ausgewählten Kreis Bevorrechtigter eine wichtige Rolle. Dass in Pietrele die beiden anthropomorphen Figuren zum Festgeschirr gehörten, unterstreicht die transzendenten Dimensionen solcher Legitimation.

Die Pithoi in Pietrele sind Hinweise sowohl auf handwerkliche Spezialisierung als auch auf Surplusproduktion. Sie konnten bis zu 400 Liter aufnehmen und zeigen, dass ein Mehrprodukt möglichst effektiv gespeichert werden sollte. Die handwerkliche Spezialisierung wiederum entstand aus dem gestiegenen Bedarf an dem Produkt und konnte nur bei gleichbleibend hohem Bedarf erhalten werden. Ohne Mehrprodukt, das gespeichert werden musste, hätte es auch keinen Anlass zur handwerklichen Spezialisierung auf Großgefäße gegeben.

Inwieweit diese Spezialisierung innerhalb von Pietrele entwickelt wurde oder über den Rahmen der Einzelsiedlung hinausging, lässt sich noch nicht bestimmen. Hierzu müssen auch andere Gumelniţa-Siedlungen in die Betrachtung einbezogen sowie herstellungstechnische Beobachtungen und chemische Analysen durchgeführt werden. Erst dann wird sich die Frage beantworten lassen, ob die Pithoi in jeder Siedlung am See oder – was wahrscheinlicher ist – nur in einer hierfür spezialisierten Siedlung hergestellt wurden. Mit dem Ende des kupferzeitlichen Siedlungssystems verschwanden auch die Herstellung von Pithoi und das damit verbundene Wissen.