Römische Glas- und Keramikfunde aus Baalbek

Amphora, Baalbek. © DAI + Orient // Irmgard Wagner

Forschung

Die römische Keramik aus Heliopolis ist ebenso wie die Glasfunde bisher noch nicht wissenschaftlich untersucht worden. Daher ist zunächst eine grundlegende Typologie zu erstellen, mit deren Hilfe die verschiedenen Formen datiert werden sollen. Weiterhin werden die Typen Funktionsgruppen wie Essenszubereitung, Vorratshaltung oder Tafelgeschirr zugeordnet, wobei es hier zu bedenken gilt, dass einige der Formen übergreifend Verwendung fanden.

Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Produktionsstätte der Gefäße. Im Bereich der Keramik ist hierfür insbesondere die Analyse der verwendeten Tone, sogenannter Waren, von Bedeutung. Neben der makroskopischen Unterscheidung vor Ort wurden naturwissenschaftliche Analysen herangezogen, um zwischen lokalen und importierten Waren unterscheiden zu können. Hinreichend untersuchte Gattungen wie Feinkeramik und Transportamphoren spielen für die Identifizierung der Importe eine große Rolle. Während zur lokalen Keramikproduktion keine Studien vorliegen, lassen sich die Importe teilweise sehr gut chronologisch fassen und erlauben eine eindeutige Zuweisung in das Repertoire der römischen Stätten im Mittelmeergebiet.

Die Ermittlung der Produktionszentren der römischen Gläser erfolgt ebenfalls mit Hilfe chemischer Analysen. Produktionsreste liefern weitere Hinweise auf lokale Werkstätten, wie auch die Abwesenheit von Glasfragmenten in bestimmten Perioden auf ein funktionierendes Recyclingsystem schließen lassen. Im Bereich der Glasfunde liegen zudem umfangreiche Publikation der römischen und mittelalterlichen Gefäße aus der näheren Region vor, die die chronotypologische Einordnung der Gläser ermöglichen und wichtige Datierungskriterien liefern.

Diese Fragen können jedoch nicht losgelöst von den Bauwerken, der sozialen und politischen Entwicklung sowie den in anderen Gattungen auftretenden Besonderheiten beantwortet werden. Daher ist eine enge Zusammenarbeit mit den im Baalbek-Projekt mitarbeitenden Archäologen und Architekten notwendig, um ein schlüssiges Gesamtergebnis zu erzielen.

Da der Kern des Projekts die Frage der Stadtentwicklung umfasst, soll diese aufgrund der Funde ergänzend betrachtet werden: Welche Verbindungen lassen sich zwischen Baalbek und anderen Regionen des römischen Reichs feststellen? Welche Importe spielen eine übergeordnete Rolle? Außerdem liefern die Funde ein interessantes Bild von Deponierung, Umlagerung, Reinigung, Weiter- und Nachnutzung von Gebäuden und Arealen. Diese Aspekte der urbanen Raumnutzung, die sich insbesondere anhand residuellen Materials bestimmen lassen, können Hinweise auf die Bauprozesse und Arbeitsplanung liefern.

Im Allgemeinen wird angenommen, dass politische Veränderungen zunächst wenig oder zumindest langsam Einfluss auf Gebrauchskeramik nehmen. Während wir kaum Zeugnisse aus Heliopolis der voraugusteischen Zeit haben, obwohl eine Besiedlung seit neolithischer Zeit nachweisbar ist, bleiben Quellen auch nach der römischen Eroberung rar: Ab 15 v. Chr. gehörte Heliopolis zum Territorium der Colonia Iulia Augusta Felix Berytus. Somit ist aus administrativer Sicht eine enge Bindung der Stadt Heliopolis an Berytus für die ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderte zu erwarten, deren Niederschlag in der materiellen Kultur nachzuweisen ist. Diese Abhängigkeit wurde in severischer Zeit aufgehoben, da unter Septimius Severus das Stadtrecht an die Heliopolitaner verliehen wurde. Welche Auswirkungen diese Loslösung von Berytus auf das wirtschaftliche Leben der Stadt hat, ist ebenfalls Gegenstand der Untersuchung. Weitere Umbrüche religiös-politischer Art folgten in der Spätantike und am Übergang zum Mittelalter bzw. der arabischen Eroberung. Trotz einer deutlich geringeren Materialgrundlage soll auch für diese Epochen eine Diskussion der materiellen Hinterlassenschaften im Vergleich zu den politischen Entwicklungen erfolgen. So geben beispielsweise Importe darüber Aufschluss, ob bestehende Handelsrouten weiter genutzt oder aufgegeben wurden.

Zusätzlich zu diesen auf die Stadt Heliopolis bezogenen Fragen soll untersucht werden, welche Vor- und Nachteile die zwei Gattungen – Keramik und Glas – zur Beantwortung dieser Fragen bieten. Inwiefern verändert sich das gewonnene Bild unter Einbeziehung nur einer Gattung? Liefern beide für sich jeweils die gleiche Aussage oder ergänzen sie sich? Imitationen keramischer Gefäße in Glas sowie gläserner Formen in Keramik werden immer wieder angenommen, so dass eine genaue Untersuchung dieses Phänomens vorgenommen werden soll. Insbesondere das Tafelgeschirr wird zumeist getrennt nach Glas und Keramik untersucht, obwohl es einem gemeinsamen Verwendungszweck diente und als „Ensemble“ angesehen werden muss. Auftreten und Abwesenheit von Geschirr aus der einen oder anderen Materialgruppe soll daher im Verlauf der Jahrhunderte genau untersucht und zueinander in Beziehung gesetzt werden.

Im Zentrum der Arbeit wird der Ausgrabungsbereich „Bustan el-Khan“ im Südwesten des Hauptheiligtums stehen. In diesem Areal kann anhand der Stratigraphie die gesamte zu untersuchende Periode ausgewertet werden. Ergänzend sollen Kontexte aus den anderen Grabungsarealen sowie Funde aus den Altgrabungen herangezogen werden, um das Bild abzurunden und kontextbedingte Faktoren zu erkennen und entsprechend zu bewerten.

Der Bustan el-Khan ist ein Gelände, das an einer der Hauptausfallstraßen liegt und ab dem 1. Jh. n. Chr. von einem Wohngebiet zu einem Areal mit öffentlichem Charakter ausgebaut wird. Die archäologisch nachweisbaren Baumaßnahmen begannen mit der Errichtung des Podiensaals und wurden im 2./3. Jh. mit dem Bau der Therme fortgesetzt. Eine Nutzung des Geländes bis in mittelalterliche Zeit ist nachweisbar. Insbesondere die Therme wurde dann als Steinbruch genutzt und systematisch abgetragen. Mit dem Bau der Stadtmauer in ayyubidischer Zeit verliert das Areal vermutlich an Bedeutung, da es nun extra muros liegt. Im Zuge der libanesischen Ausgrabungen in den 1960er Jahren bis zu Beginn des Bürgerkriegs wurde das gesamte Areal bis auf ein vermeintlich antikes Niveau ausgegraben. Dadurch ist – wie auch in den anderen Arealen – ein quantitatives Ungleichgewicht zwischen den kaiserzeitlichen und den spätantiken Kontexten entstanden. Dieses gilt es bei der Bewertung ebenfalls zu berücksichtigen.

Aufgrund der Fülle an Material wurde bereits bei der Aufnahme in Baalbek der Umfang der erhobenen Daten reduziert. Hieraus ergibt sich zwar eine geringere Anzahl auswertbarer Einzelfaktoren, es hilft aber zugleich dabei, Gruppen zu erkennen und sich nicht in Detailfragen zu verlieren. Aufgrund der Art der Grabung – keine Flächengrabung, sondern kleine Sondagen zur Klärung architektonischer Befunde – wird es zumeist nicht möglich sein, feinchronologische Typologien zu erstellen, was zur Beantwortung der eingangs erläuterten Fragestellung zudem nicht erforderlich ist.