Kulte und Heiligtümer im Bereich von Stadtmauern und Toren: Das Beispiel der Kerameikosgrabung

Das Pompeion von SO © Jutta Stroszeck, DAI Kerameikosgrabung // Jutta Stroszeck

Raum & Zeit

Im Ausgrabungsgelände des Kerameikos ist ein Teil der antiken Stadtmauer erhalten, die den 'inneren Kerameikos' vom 'äußeren Kerameikos' teilt. Durch die Mauer führten im Abstand von 40 Metern zwei Tore, das Heilige Tor und das Dipylon. Die Heilige Straße und die Kerameikos-Straße verbinden den 'inneren' mit dem 'äußeren' Kerameikos.

Themistokles ließ das Heilige Tor im Zusammenhang mit der neuen Stadtmauer 479/478 v. Chr. errichten. In diese Zeit fällt auch die durch das Tor vorgegebene architektonische Fassung der Heiligen Straße, auf der sich die Prozession vom und zum ca. 20 Kilometer entfernten Heiligtum der Demeter in Eleusis bewegte. War das Gebiet des Kerameikos vor den Perserkriegen hauptsächlich Nekropole, so wurde mit dem Bau der Stadtmauer und -tore und der damit einhergehenden Anlage der Straßen der politische Raum der Polis Athen nach Westen erweitert.

Aus den antiken Quellen ist bekannt, dass entlang dieser Straße und vor dem Dipylon Gräber für Personen angelegt worden sind, deren Handlungen zu Lebzeiten auf ganz unterschiedliche Weise identitätsstiftende Wirkung für die Polis Athen hatten oder die sich sonst um die Stadt verdient gemacht hatten, darunter gefallene Athener, Feldherren, Politiker, Olympiasieger und berühmte Künstler.

Die Kerameikos-Straße spielte bei Staatskulten eine große Rolle, z. B. bei den Kultfesten für Dionysos Eleuthereus. An den im Lauf der Zeit entlang der Straße errichteten Grabdenkmälern wurden jährliche Gedenkfeiern abgehalten, z. B. fanden regelmäßig Riten am Polyandrion der Athener statt. Durch diese gemeinsam, teilweise auch unter Beteiligung der Frauen vollzogenen Rituale wurden die Strukturen der athenischen Gesellschaft ausgedrückt und durch die Wiederholung dauerhaft gefestigt.

Zu Beginn des 4. Jahrhunderts v. Chr. entstand zwischen den beiden monumentalen Toranlagen das Pompeion. Von hier aus nahm die alle vier Jahre anlässlich des Festes der Schutzgottheit der Stadt durchgeführte Prozession ihren Ausgang, die am Athenatempel auf der Akropolis endete.