Der Kerameikos von Athen und seine Straßen: Raum, Verwendung, Entwicklung und Denkmäler

Blick auf das Proteichsima © Jutta Stroszeck, DAI Kerameikosgrabung // Jutta Stroszeck

Raum & Zeit

Das heute unter dem Namen Kerameikos bekannte Ausgrabungsgelände umfasst nur einen kleinen Teil des antiken Demos Kerameis, der sich von der Agora bis zur ca. 3 Kilometer entfernten Akademie erstreckte. Im Ausgrabungsgelände des Kerameikos ist ein Teil der antiken Stadtmauer erhalten, die den 'inneren Kerameikos' vom 'äußeren Kerameikos' teilt. Durch die Mauer führten im Abstand von 40 Metern zwei Tore, das Heilige Tor und das Dipylon. Die Heilige Straße und die Kerameikos-Straße verbinden den 'inneren' mit dem 'äußeren Kerameikos'.

Die Heilige Straße im Bereich des Heiligen Tores ist eng mit der Geschichte des Heiligen Tores verknüpft. Themistokles ließ das Heilige Tor im Zusammenhang mit der neuen Stadtmauer 479/478 v. Chr. errichten. In diese Zeit fällt auch die durch das Tor vorgegebene architektonische Fassung der Heiligen Straße, auf welcher sich die Prozession vom und zum etwa 20 Kilometer entfernten Heiligtum der Demeter in Eleusis bewegte. War das Gebiet des Kerameikos vor den Perserkriegen hauptsächlich Nekropole, so wurde mit dem Bau der Stadtmauer und -tore und der damit einhergehenden Anlage der Straßen der politische Raum der Polis Athen nach Westen erweitert.

Der Begriff Kerameikos wird in klassischer Zeit auf das Areal der Straße zwischen Akademie und Agora bezogen, seine Bedeutung ändert sich jedoch im Lauf der Zeit. Die deutschen Ausgrabungen im Kerameikosgelände (gemeint ist hier der neuzeitliche Kerameikos als archäologischer Park) bieten die Möglichkeit, einen Teil dieser antiken Straße zu untersuchen. Zum Gelände gehören das Stadttor, das über der Straße errichtet wurde, sowie ein etwa 150 Meter langer Abschnitt der Straße vor dem Tor einschließlich der Bebauung entlang des südwestlichen Straßenrandes.

Quellen:

Aus den antiken Quellen ist bekannt, dass entlang dieser Straße und vor dem Dipylon Gräber für Personen angelegt worden sind, deren Handlungen zu Lebzeiten auf ganz unterschiedliche Weise identitätsstiftende Wirkung für die Polis Athen hatten oder die sich sonst um die Stadt verdient gemacht hatten, darunter gefallene Athener, Feldherren, Politiker, Olympiasieger und berühmte Künstler.

Aussehen der Straße:

Die Kerameikosstraße war vor dem Tor mehr als 40 Meter breit. Das entspricht dem Abstand der Grenzsteine beiderseits des Dipylon vor der Stadtmauer. Diese Breite ist durch die Grabungen von Dieter Ohly auch noch 70 Meter vor der Toranlage archäologisch nachgewiesen. Im landseitigen Tordurchgang verengte sie sich auf 18 Meter.

Schon allein diese monumentalen Ausmaße unterscheiden diese Straße von allen anderen bekannten antiken Straßen: Normalerweise waren Straßen 3-5 Meter breit, seltener 8-10 Meter. Die große Hauptstraße in Alexandria war 30 Meter breit. Eine so breite Straße vor dem Haupttor einer Stadt war im Verteidigungsfall von Nachteil. Es müssen daher gewichtige Argumente für den Ausbau der Straße im letzten Viertel des 5. Jahrhunderts gegolten haben.

Funktion der Straße:

Aus der enormen Breite der Straße ist ersichtlich, dass es sich hier nicht um eine normale Straße handeln kann, die nur die üblichen Funktionen hatte (Verkehrsweg für Reise und Transport). Verwaltet wurde der antike Kerameikos von der Stadt. Darauf weisen die Stelen mit der Inschrift ΟΡΟΣ ΚΕΡΑΜΕΙΚΟΥ hin, die um 350 v. Chr. entlang der Straßenränder aufgestellt worden sind. Die Polis war damit für alle Belange der Straße und der Bauten entlang der angrenzenden Straßenränder zuständig. Der von der Polis geschaffene und begrenzte Raum vor dem Dipylon stand den Bürgern für verschiedene Nutzungsweisen zur Verfügung:

Zum Beispiel war die Straße in ganzer Länge Veranstaltungsort von Agonen, im Besonderen von Fackelläufen, die unter anderem im Rahmen des Staatskultes der Panathenäen stattfanden und an denen das ganze Volk als Zuschauer beteiligt war. Auch bei anderen Staatskulten spielte die Straße eine Rolle, z. B. bei den Kultfesten für Dionysos Eleuthereus. An den im Lauf der Zeit entlang der Straße errichteten Grabdenkmälern wurden jährliche Gedenkfeiern abgehalten, z. B. fanden regelmäßig Riten am Polyandrion der Athener statt. Durch diese gemeinsam, Teilweise auch unter Beteiligung der Frauen vollzogenen Rituale wurden die Strukturen der athenischen Gesellschaft ausgedrückt und durch die Wiederholung dauerhaft gefestigt.